Das Streiflicht
(SZ) In Bayern marodiert der Mensch viel mehr als der Bär. In Rottach-Egern zum Beispiel wird die Fußgängerin an einem sonnigen Nachmittag viel stärker von SUVs, Teslas und generell Autofahrern aus Ebersberg gefährdet als das durchschnittliche Schaf auf einer Alpenalmwiese durch einen Bären. Man hat noch nichts davon gehört, dass die Bayerische Staatsregierung, speziell deren großgnomiger Innenminister, die Vergrämung, im Extremfall den Abschuss von X-7-Lenkern erwogen hätte. Dem Bären aber, durchaus auch der Bärin, wollen sie ans Fell. Der Bär, der unlängst bei Rosenheim („es gabat a Leich“) zwei Schafe gerissen hat, stammt mutmaßlich aus den italienischen Alpen – so wie der historische Bär Bruno, der 2006 nahezu persönlich von Edmund Stoiber erlegt wurde. Stoiber, dessen sprachprägende Kraft von der linken Haltungspresse immer nur verhöhnt wurde, hat auch den Jahrhundertbegriff „Problembär“ erfunden. In ihm spiegelt sich die ganze Ambivalenz des ursisch-humanen Verhältnisses in der postmodernen Betroffenheitsgesellschaft wider.
Der Bär als solcher ist, jedenfalls aus menschlicher Sicht, kein Problem, solange er unter Bären bleibt. Beim Menschen ist das anders, denn der durchschnittliche Problemmensch ist in den allermeisten Fällen gerade deswegen ein Problem, weil er seine unangenehmen Eigenschaften gegenüber Menschen auslebt. Der Mensch also ist des Menschen Bär (siehe auch Rottach-Egern), wohingegen der Bär meistens des Bären Bär bleibt. Der Bär will eigentlich nichts vom Menschen, und wenn er ein Schaf oder eine Ziege tötet, dann hat er nur Hunger. Das ist für das einzelne Schaf zwar im Sinne des Wortes fatal, für die Schafe als solche aber erträglich. Die Vorstellung, er, der Bär, oder sie, die Bärin, könnte, wie der Mensch, viele, viele Schafe gefangen halten, um ihnen dauernd die Haare abzuschneiden und sie dann irgendwann umzubringen, würde der Moral des Bären widersprechen – kennte er denn eine Moral. Moral ist eine Erfindung des Menschen, um den Ungeheuerlichkeiten, zu denen er fähig ist, einen geistigen Überbau zu geben.
Der Bär jedenfalls versteht das einzelne Schaf als Nahrung, der Mensch aber versteht die Gesamtheit der Schafe als nach Belieben zu nutzende natürliche Ressource. Nicht nur aus der Sicht der Schafe ist der Mensch ein viel größeres Problem als der Bär. Zugegeben: Es könnte sein, dass man in den bayerischen Alpen einem Bären begegnet, der aus Norditalien zugewandert ist. Solche, die sich als Bärenkenner ausgeben, sagen, man dürfe ihn nicht provozieren, nicht weglaufen und keine Steine nach ihm werfen. Im Prinzip soll man sich also ungefähr so verhalten, wie wenn man zum Beispiel unversehens Markus Söder unter der Kampenwand begegnet: Es ist etwas unheimlich, aber schließlich ist man ja kein Schaf.