Gerade regen sich die Deutschen über Fußballer auf, die keine Haltung zeigen. Gerade regen sich die Deutschen aber auch über Klimaaktivisten auf, die wirklich Haltung zeigen. Warum Zivilcourage nur dann vorliegt, wenn Menschen Risiken in Kauf nehmen.……
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Klar, es gibt für alles Gründe, ein paar sind sogar ganz gut. Zeitenwende und so weiter. Aber für Menschen, die im Alltag ja auch ständig das eigentlich Erwünschte zugunsten des Machbaren aufgeben, die zähneknirschend Kompromisse mit sich selbst aushandeln und doch eigentlich anders wollen würden, wenn bloß nicht … Kurzum, für uns alle ist das eine bedrückende Gesamtbilanz. Woran sollen wir uns noch aufrichten, wenn jetzt sogar Neuer und Co. sich als verzagte Realpolitiker entpuppen, die leider, leider gar nichts machen können auf der größten Bühne der Welt?
Gut, immerhin haben sie sich ja fürs Gruppenfoto eine Sekunde den Mund zugehalten. Als wären es die millionenschweren Spieler, denen hier in der Wüstendiktatur irgendwer den Mund verbieten würde, und als hätten nicht gerade sie die Möglichkeit, ein Zeichen zu setzen, das wirklich gesehen wird. Neuer hat noch nie in einem Länderspiel Gelb gesehen, die Binde hätte bei jeder Partie ein anderer tragen können, die gelben Karten wären Trophäen geworden, was für ein Signal das gewesen wäre! Stattdessen kreuzbraver Dienst nach DFB-Vorschrift, es ist zum Heulen.
Und dann erinnert man sich: In einem Paralleluniversum namens Bayern sitzen, Stand Mittwoch, 21 Menschen im Gefängnis, manche seit Wochen, darunter eine zweifache Mutter. Weil sie sich an Straßenkreuzungen auf den Asphalt geklebt haben, um auf die Klimakatastrophe hinzuweisen. Weil sie also, im Gegensatz zum DFB, Werte nicht nur „gehabt“ haben, sondern sie gegen echte Widerstände auch vertreten. Und zwar Werte, die uns alle angehen……
Was die beiden Themen verbindet, das Bindendrama und die Klimakleber? Öffentliche Aufregung. Und eine plötzlich klar erkennbare, wie mit Kontrastmittel nachgeschärfte Differenz zwischen Mut und Gratismut. Und das, immerhin das, ist nun doch überraschend wohltuend…….
Der innere Widerspruch macht was mit uns. Auch als jemand, der meint, die Klimakrise verstanden zu haben, der brav danach einkauft und wählt und heizt, kann man derzeit nur mit einem Großaufgebot an Naivität das Gefühl haben, irgendwas zum Besseren zu bewegen. Noch einmal zum Mitschreiben: Wir blasen weltweit weiterhin jedes Jahr mehr Treibhausgase in die Luft als jemals zuvor……
Es ist dieses Unwohlsein in der eigenen Haut, das die bürgerlichen Abwehrreflexe à la Lanz erklärt, der mit seiner Bemerkung aus der vergangenen Woche, man könne die Monets vor dem Klimakollaps doch einfach in den Dolomiten in Sicherheit bringen, in Wahrheit genau eines zeigt: die rührende Verzweiflung angesichts eines Szenarios, das wir uns nicht erlauben können, uns vorzustellen.
Und in diese Verzagtheit hinein ragen dann eben doch noch: Helden. Menschen, die für ihre Überzeugungen einstehen, egal, ob die Kinder am Montag in die Schule müssen; die den Rücken durchdrücken und tun, was wir eigentlich doch längst alle tun sollten. Menschen, die endlich den Feueralarm drücken, wo es doch, wenn wir mal ganz ehrlich sind, schon ziemlich lang nach Qualm riecht……
Ja, es nervt, wenn man zwei Stunden in die Arbeit braucht oder das Flugzeug verpasst. Aber irgendwie muss sich eine Gesellschaft wachrütteln lassen, die im fossilen Konsumkoma vor sich hin dämmert und dabei immer groteskere Missstände schulterzuckend hinnimmt……(SZ)